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08.06.2006

es ist donnerstag. nicht irgendein donnerstag, es ist der donnerstag vor dem heißerwarteten wm-start. heißerwartet, von allen bis auf mir. die wm geht mir eigentlich ziemlich am arsch vorbei. aber mal sehen, wie ich mit dieser einstellung die nächsten wochen durchs leben komme...

dieser ganze wm trubel kommt mir auch deshalb ungelegen, da ich gerade vor einem parkhaus in alt sachsenhausen stehe, das ist das kneipen/altstadt viertel in frankfurt am main, und auf einem etwas verschwommenen, selbstausgedruckten stadtplan die "klappergasse" suche. denn dort findet heute abend der zweite gig und gleichzeitig auch wieder das abschiedskonzert der band "porto" statt. jaja, sie kommen um zu gehen. die letzte große hoffnung in sachen deutscher musik, aufgrund personeller probleme (der sänger zieht nach australien), im keim erstickt. aber wenigstens den abschied wollte ich mir nicht entgehen lassen. und so stehe ich nun, alleine mitten in frankfurt und frage mich, warum ich den stadtplan mit meinem tintenstrahldrucker ausgedruckt habe, während mein laserdrucker vor sich hinstaubt. klar, der plan ist farbig, aber mittlerweile ist die tinte aufgrund des feuchttropischen klimas meiner gesäßtasche auf der fahrt nach frankfurt so stark verlaufen, dass ich keine straßennamen mehr lesen kann. krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, welche straße auf dem plan denn nun die "klappergasse" gewesen war. meinen standort hatte ich inzwischen aufgrund des unglaublich verwirrenden kreuzungsaufbaus der frankfurter hauptstraßen ausfindig machen können. ein lustiger abend stand mir also bevor.

und als wären meine orientierungsprobleme nicht schon probleme genug, habe ich heute auch meine neuen doc martens schuhe angezogen. da mein fußnagel des großen zehs vor kurzem eingwachsen ist, und sich nun eiternd seinen weg duch mein nagelbett bahnt, hatte ich mir fürs bevorstehende southside festival in ein paar wochen einen satz neue stahlkappendocs gegönnt, um im moshpit eventuellen zehentreffern vorzubeugen. und diese docs wollte ich nun zum ersten mal ausführen. eine sehr schlechte idee, wie sich später noch herausstellen sollte. aller warnungen meiner kumpels zum trotz ("die musst du mindestens vier wochen lang einlaufen!", "ich wollte damals mit meinen neuen docs nur mal kippen holen und bin dann barfuß nach hause gekrochen"...) war ich der meinung, dass es so schlimm nicht werden konnte. falsch gedacht. schon die ersten hundert meter vom parkdeck ins treppenhaus auf die straße schabten meine fersen blutig. doch jetzt gab es kein zurück mehr, und barfuß in frankfurts seitenstraßen herumzulaufen, ist in etwa genauso riskant wie ein thailandurlaub ohne kondome. ich versuchte mit meinem füßen möglichst weit nach vorne zu rutschen und schlurfte so mit einer salamanderartigen gangart in richtung der straße, in der ich den "das bett club" vermutete, die location in der das konzert stattfinden sollte.

doch die unbequemen schuhe und die scheinbar unauffindbare klappergasse waren nur verschwindend unwichtige dinge, in anbetracht dessen was mich am eingang zum kneipenviertel sachsenhausen erwartete. eine horde angelsächsischer barbaren, rot weiß wohin das auge blickte. england sollte morgen in frankfurt spielen und die fans feierten schonmal probe. möglichst unauffällig schlurfte ich an die wand gedrückt weiter, die augen auf meinen plan gerichtet und die gedanken möglichst weit weg von meinen blutenden fersen, als ich an einer sportsbar vorbeikam. auch diese war fest in englischer hand. vor der bar an einem kleinen tisch saß ein berg. ein mann, wenn man es noch so nennen kann, der mindestens zwei kubikmeter masse darstellte. nicht dick oder schwabbelig, nein, fest wie ein einziger muskel. die haare feuerrot, millimeterkurz geschoren - was seine segelohren besonders gut betonte, die bleiche haut komplett bedeckt mit sommersproßen, eine hand klammerte sich an den tisch, die andere um einen plastikbecher bier. vor ihm auf dem tisch: knapp 30 leere bierbecher. ich beobachtete seinen brustkorb: keine reaktion. "vielleicht atmet er durch die haut?" dachte ich. doch da passierte es. er bewegte sich doch, ganz langasm. schildkrötengleich hob den fast vollen becher an den mund und zog das bier in einem satz weg. sofort kam einer kleinerer engländer mit einem extremen sonnenbrand der im nackenbereich schon blasen warf und brachte dem berg ein neues bier. der große war scheinbar eine art anführer, priester, vielleicht sogar prophet oder was auch immer. er nahm den becher und nach einem schluck fiel er wieder wie ein kaltblüter in seine starre zurück. dafür floß ihm der schweiß in bächen von der stirn. und das ist wörtlich gemeint. der schweiß bildete schon keine tropfen mehr, sondern ergoß sich in einem kleinen rinnsal von der stirn. bemerkenswert. insgeheim fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde bis man ihn mit dem notarzt abholen musste, und wieviele leute man brauchte um den koloss auf eine bare zu hieven.

ich humpelte weiter, ich wollte ja das konzert nicht verpassen. nach einigem herumfragen stand ich dann endlich vor dem bett club. drinnen war ich froh endlich sitzen zu können und betrachtete mir meine geschundenen fersen. blutige fetzen aufgeschundener haut hingen mir vom fuß, das leder meiner docs bereits blutrot gefärbt. das konzert war einsame spitze, was umso trauriger war wenn man bedenkt, dass es diese band nun nicht mehr gibt. aber auch kurt cobain, freddy mercury, john lennon und roy black wussten: man muss gehen, wenns am schönsten ist.

nach gestreckten zwei stunden war die show vorbei und ich machte mich wieder humpelnd auf den heimweg. zu meinem verwundern saß der koloss immernoch in der gleichen haltung auf dem gleichen fleck. mittlerweile war seine haut so bleich wie sein trikot. ein weißer berg mit rotem schopf und bier in der hand. der becherberg auf dem tisch vor ihm war mittlerweile auf mindestens vierzig oder mehr becher angewachsen. ich war erstaunt, aber irgendwie nicht überrascht. schnell humpelte ich weiter, bis zur hauptstraße gegenüber dem parkhaus. gerade betätigte ich den schalter für die ampel, als sich mir die nackenhaare aufstellten. mein siebter sinn! von hinten kam eine meute bierschwitzender englandfans auf mich zugerollt und ehe ich mich versehen hatte, hatten sie mich schon umkreist. einer kam auf mich zu, schaute auf meine schuhe und legte seinen feuchten arm um meine schultern  "nice shoas"! (ich schreibe in lautschrift, damit ihr euch den englischen dialekt vorstellen könnt). ich quälte mir ein lächeln heraus. er stellte sich vor mich, legte mir seine hände auf die schultern und sah mir wankend in die augen "whooo's gonna be footbow worldchampion?" (im suff-englisch wird "football" immer "footbow" ausgesprochen). "england!" sprudelte es aus mir hervor, was hätte ich auch sagen sollen? er lächelte, drückte mich an sich und schrie "eeeyy! we've got an england fan over here!" die ganze meute schrie und prostete mir zu. dann fragte er: "who's the best footbow playa in the world?" mist, sackgasse. ich interessiere mich so gut wie garnicht für fußball, und für englischen schon garnicht. schnell, der name eines englischen spielers musste her. da fiel mir unter anderen david backham ein. doch plötzlich zuckte eine erinnerung durch mein hirn. in einer doku auf n24 habe ich kürzlich ein portait des beliebtesten englischen spielers gesehen. er sah aus wie 90% seiner fans, segelohren, rote haare, schiefe zähne, überbiss, ein mann aus der arbeiterschicht, ein mann vom volk... wayne rooney! "rooney!" platzte es aus mir heraus. auf einmal wurde es still, niemand grölte mehr, alle schauten mich an. das adrenalin schoß literweise durch meine blutbahn, ich wahnte mich meinem ende nahe. totgeprügelt von besoffenen englischen fußballfans, weil ich den falschen spielernamen gesagt hatte und aufgrund aufgerissener zehen noch dazu unfähig war wegzurennen. auf einmal schrie der engländer vor mir "eeeyyy! we've got a rooney fan over heereeee!" und die meute feierte. mir fiel ein stein vom herzen. da wurde die ampel grün und der tobende mob schob sich über die straße. mein neuer freund verabschiedete sich mit den worten: "you could be glad that you didn't say beckham, cause i'd knocked your teeth out". gelähmt blieb ich an der ampel stehen bis sie wieder rot wurde. ich drückte den knopf erneut. da sieh mal einer an, rooney hat mir das leben gerettet...

song of the day:
porto - berlin brennt

 

also, bis demnächst, mein böses tagebuch


triffst du auf englische fußballfans, merke: rooney=leben, backham=tod