11.11.2005 in den letzten tagen bei der arbeit konnte
ich ein erstaunliches phänomen beobachten: die kantine. die kantine ist
der schmelztigel der belegschaft. mehr ethnische gruppen wie hier findet
man wohl selbst im big apple nicht. hier trifft aussendienstler auf
techniker, bürokauffrau auf mechaniker und putzfrau auf chefsekretärin.
wie ein damoklesschwert schweben die spannungen über dem hungrigen
menschenhaufen. gerade wenn es um die lebensnotwendige nahrungsaufnahme
geht verstehen ja die meisten menschen keinen spaß mehr. so wird ein
unbeabsichtiger vordrängler in der schlange der essensausgabe schnell mal
zum tropfen der das fass zum überlaufen bringt, denn immerhin war der
schlipsträger zuerst in der schlange. jedoch braucht der frisch gebügelte
armani auf zwei beinen etwas zu lange an der besteckausgabe. zumindest für
den geschmack des vokuhila tragenden lastwagenfahrers hinter ihm. während
ersterer noch ein zusammenpassendes paar messer und gabel aus den tiefen
des besteckkastens wühlt zieht letzterer schnurstracks an ihm vorbei. wozu
denn auch warten? wer sich die trucker mal genauer ansieht, weiß dass ein
besteck für sie nur ein hindernis darstellen würde. ein schnitzel isst
sich doch immernoch am besten mit den fingern... heiß kann es auch
hergehen, hat eine tippse zufällig das gleiche H&M schnäppchen am vortag
gemacht wie die putzfrau, die sich für den kantinengang extra aus dem
kittel schält. wie ein schmetterling aus einem kokon. naja, ok, eher ein
falter. nachtfalter. ach egal. da meiner erfahrung nach nur frustrierte
singlefrauen in dieser firma arbeiten (alle anderen kümmern sich zuhause
um die kinder oder den haushalt und schicken den mann malochen) ist es
obere priorität über allen anderen mitbewerberinnen zu stehen oder diese
gleich komplett auszuschalten. im kampf um einen gutverdienenden ernährer
ist jedes mittel erlaubt. hat dann zufällig eine konkurrentin aus einer
niedrigeren kaste den gleichen kampfdress aus dem grabbeltisch gezogen wie
sie selbst (und sieht darin vielleicht noch besser aus, weil es bei ihr
sogar passt) heißt es krieg! ein weiteres interessantes phänomen ist die kassiererin in der kantine. ohne sich zu bewegen sitzt die stämmige frau hinter ihrer kasse in ihrer kleinen insel und wartet auf den nächsten kunden. und das wahrscheinlich auch zwischen den pausenzeiten. zumindest hat noch niemand die kassiererin ausserhalb der kasseninsel gesehen. wenn man nicht genau hinschaut sieht es wirklich so aus, als wäre sie mit ihrer kleinen kasseninsel verwachsen. ein kassierender cyborg. die perfekte symbiose aus mensch und maschine. gerüchte zufolge liegt die kantine auch schon in der dritten generation in familienhand. und in der tat, alles sieht irgendwie nach engen, internen familienbeziehungen aus, ohne frisches blut - ein seichter genpool. ein familienbetrieb der stark an gasthäuser in abgelegenen bergdörfern erinnert. hier die augen etwas zu eng, dort die ohren etwas blumenkohlartig, hier ein damenbart, da ein zu kurzes bein und hier einen finger mehr... naja, immerhin ist das essen halbwegs genießbar. einfach nicht daran denken. obwohl diverse vorkommnisse schon zu auffällig sind. gibt es zum beispiel an einem tag braten, gibt es am nächsten tag auf jeden fall etwas mit "gehacktes". gab es am vortag schnitzel oder putensteak gibt es heute geflügelgeschnetzeltes. natürlich hält man sich mit sprüchen wie "das könnt sich kein koch/kantinenpächter/... leisten sowas zu machen, wenn das rauskommt bekommt der doch niemehr einen job" oder "die kantinen werden ja genauer kontrolliert als manch eine kneipe" mental über wasser. aber ab und zu, wenn man mal wieder auf etwas hartes im hackfleich beisst ertappt man sich dann doch mal dabei, wie man sich verstohlen danach umschaut ob die köchin noch alle fingernägel hat. da ist man manchmal trotz großen hungers schnell mit dem essen fertig. sowieso verbringt niemand länger in der kantine als unbedingt nötig. aber es gibt auch ausnahmen...
extra eine viertelstunde vor allen anderen kommen die
mechaniker in die kantine. grund: freie platzwahl. unter gewissen
umständen sind die guten sitzplätze in der kantine begehrter als die
letzte freie liege in einem hotel auf mallorca um acht uhr morgens. aber
dummerweise gibts in der kantine keine handtücher, glücklicherweise aber
auch keine englischen touristen. die wertvollsten sitzplätze sind im
raucherbereich, gleich vorne rechts und links neben dem eingang. für die
mechaniker wird so der weg zwischen eingang und essensausgabe zum catwalk,
für die bürokauffrauen zum spießrutenlauf.
song of the day:
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