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10.12.2003

hallo mein böses tagebuch,

jetzt mal eine ernst gemeinte aufforderung: liebe menschen mit behinderung, nehmt doch bitte mehr rücksicht auf uns menschen ohne handicap. 
ja, ich nähere mich hier einem brisanten thema. ein eisen das wohl besser im feuer gelassen werden sollte. aber dieses thema kam mir heute aufgrund eines aktuellen vorkommnisses in meiner mittagspause und dieses tagebuch hier ist wohl ein forum, in dem ich meine meinung äußern kann, ohne gleich als behindertenhassser hingestellt zu werden.

also, ich saß heute mittag gerade neben meinem auto und freute mich auf ein leckeres leberwurstbrötchen genoß die sonne und den kalten asphalt unter meinem arsch der mich geradewegs auf die nächste blasenentzündung zusteuern ließ, als ich einen rollstuhlfahrer auf der anderen straßenseite sah. er stand also fast genau auf meiner höhe und wollte über die straße. als der verkehr abriss rollte er also von einer straßenseite rüber zur anderen. ich muss echt sagen, respekt. der rollstuhfahrer hatte wirklich vollste kontrolle über sein gerät, rollte ohne probleme vom gehweg auf die straße, machte eine kurve um einen kanaldeckel wie sie mancher radfahrer nicht eleganter hätte machen können. kurz vor dem bordstein auf meiner seite stoppte er und lupfte die vorderen räder des rollis an, setzte sie auf dem bordstein ab und versuchte mit den hinteren rädern über die kante zu rollen. leider war die kante ziemlich hoch und schon näherte sich von hinten ein auto. und da erwachte auf einmal eine seite in mir, die ich vorher nicht kannte und mir selbst ein wenig angst machte. ich vergaß meinen schlechten ruf den es eigentlich zu schützen gilt und verspürte so etwas wie einen drang zur hilfsbereitschaft. ich legte schnell mein brötchen auf die seite, sprang auf, erstickte fast an dem unzerkauten bissen den ich noch im mund hatte, lief auf den rollstuhlfahrer zu und fragte ob ich ihm vielleicht helfen könne. ich hatte die hände schon fast an den griffen als mein plötzlich erwachtes neues lebensgefühl schroff im keim erstickt wurde. "finger weg! das pack ich auch ohne deine hilfe!" sagte der aok-chopper-pilot. ich schreckte zurück, der rolli machte einen satz auf den gehweg und rollte mit höchster geschwindigkeit davon. etwas perplex stand ich da, leberwurst an den fingern und ein riss in meinem herzen. und da merkte ich wieder: freundlich sein lohnt sich nicht. 

ok, vielleicht hatte der rollstuhlfahrer auch nur einen schlechten tag, aber die ganze szene erinnerte mich stark an eine andere geschichte, aus der zeit als ich noch in meiner ausbildung intranetseiten für einen großen konzern zusammengebastelt hab. wie in einem großen konzern üblich, hatten wir "quotenbehinderte". die anzahl der beschäftigten mitarbeiter mit behinderung wird vom staat vorgegeben. wird diese quote nicht erfüllt, bekommt der konzern keine subventionen oder muss sogar strafen zahlen. die rechte dieser mitarbeiter werden von der "schwerbehinderten vertretung", einer art unter-betriebsrat, vertreten. und eben genau für diesen musste ich mit meinem kollegen manuel eine intranetseite programmieren. also legten wir uns ins zeug wie nie, entwarfen ein neues logo, ein neues design und programmierten uns die finger wund. stilvolle animationen, corporate design und eine freundliche benutzeroberfläche vereinten sich zu  der besten intranetseiten die wir je programmiert hatten. als wir fertig waren veröffentlichte ich die seite auf dem server und wählte voller stolz und erwartung die nummer der schwerbehinderten vertretung. "ja, schwerbehinderten vertretung vorstand hier" "ja hallo, hier ist der azubi aus dem webteam. ich wollte bescheid sagen, dass die neue webseite jetzt online ist. schauen sie sich die page doch einmal an. rechts oben haben wir ein neues logo eingebaut, die konzernfarben wurden nur dezent eingesetzt um der seite ein eigenes flair zu verleihen haben wir viel weiß und helle farben verwendet. pastelltöne stechen nicht so ins auge. das übersichtlich gestaltete menü..." ich schwärmte der frau am anderen ende am telefon noch einige minuten lang von den vorzügen des neuen designs vor, als ich forsch unterbrochen wurde. "hörten sie mal junger man, ich bin blind!" schock. kloß im hals, blut flutete meine gesichtshaut und schweiß meine stirn. blackout. alle sätze die ich mir für das kommende gespräch zurechtgelegt hatte waren hinfällig geworden. ich stotterte etwas verwirrt ins telefon. "oh,... äääh... hm... das... das tut mir aber jetzt leid." manuel, der das ganze über den lautsprecher des telefons mitverfolgt hatte, musste sich das lachen verkneifen und biss sich fast die unterlippe ab. "das braucht ihnen nicht leid tun, auf ihr mitleid bin ich nicht angewiesen." ich war geschockt. manuel sackte neben mir zusammen und fiel vom stuhl. ich fühlte mich schuldig, wusste aber eigentlich nicht warum. "rufen sie doch mal meinen kollegen an, der kann ihnen vielleicht weiterhelfen." sagte die frau am telefon. "ok, werde ich machen. auf wiederSEHEN." manuel schossen auf dem boden die tränen in die augen, und als ich realisierte was ich da gerade als letztes gesagt habe, war es auch schon zu spät. ich hörte nurnoch den hörer am anderen ende der leitung aufknallen.  

da fällt mir noch ganz spontan noch ein riesen fauxpas in der geschichte des französischen films ein. im film "die purpurnen flüsse" sagt der augenarzt zu dem blinden kleinen jungen den er verabschiedet: "wir sehen uns". ich bin also nicht der einzigste dem solche flüchtigkeitsfehler unterlaufen. 

also, liebe menschen mit behinderung, tut uns doch den gefallen, und seid nicht ganz so schroff zu uns, wenn wir mal unsere ungebetene hilfe anbieten oder versehentlich in ein fettnäpfchen treten. das ist nicht böse gemeint und wir wollen euch nicht verarschen und mit eurer behinderung aufziehen. was ist denn so schlimm daran wenn euch jemand mal an der bordsteinkante oder bustüre die hilfe anbietet? ich wünschte mich würde manchmal jemand in den bus oder ins taxi tragen, vor allem freitags und samstags nachts. und auch wenns manchmal nervig ist, denkt daran wenn ihr ablehnt, wir haben auch gefühle...

songs of the day:

Bloodhound Gang - She Ain't Got No Legs

also, bis demnächst, mein böses tagebuch

 


sei kein frosch, sag "nein danke" wenn du keine hilfe willst!